Gestern am 11.9.2021 habe ich ein "Nachwort"
für meinen "Traumraum" erstellt. Es ging dabei darum, dass ich nicht mehr
täglich bei Instagram ein Bild einstelle, wie es beim Betreiben einer
Zeitachse zwei Monate lang mein Ziel war.
Andererseits hatte ich gleich anfangs
ausdrücklich das Nicht-Periodische meiner Aktion zugrunde gelegt.
Das Unerwartete gefällt mir. Ich spüre, dass
ich das Erwartbare in seinem Sektor mag und durchaus pflege. Aber wenn es
dann von irgendwo her brüllt "Unerwartet
!", dann widme ich dem die größere
Aufmerksamkeit.
Anlass ist heute am 12.9.2021 etwas Unerwartetes: Dass in einem der zwei Räume, die ich schon
Anfang 2020 als "Traum-Raum" in einer
Galerie ins Auge gefasst hatte, eine Performance stattfindet. Ausgeführt
wird sie während dieses einen Tages, dem Sonntag den 12.9.21, von einer
Marina Domont-Anastassiadou. Sie sitzt hinter Glas, und ich plaudere vor
der Scheibe mit ihrem Assistenten.
Die
Platzhalterin
Marina schält Erbsen. Links von ihr warten die Erbsenschoten, rechts
stehen Töpfe, in die hinein sie aus den Schoten herausgeholte Erbsen
wirft. Soweit ich es überblicke, wurde zwar der Gag "Erbsenzählen", der
sich ja auf die Kreuzungs-Forschung von Gregor Mendel anhand von Erbsen
bezieht, herangezogen, nicht aber das Aschenputtel, das ja mit dem Reim
"die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen" beim Trennen von
Hülsenfrüchten die Tauben mitfüttert. Die Performance will, wie der
Assistent betont, ernsthaft sein. Ihr Über-Thema sei "Stillstand".
Aus meiner Sicht habe ich heute die im März 2020 geplante Version meines
"Traum-Raums" besucht: "Es gibt an festgesetzten Tagen einen von 14 bis
20 h anwesenden, Alpträume bis Wunschträume in Kleinskulpturen und zwei
Installationen zelebrierenden Künstler" schrieb ich 2020. Es sitzt halt nun
2021 nicht Chris Mennel drin und arbeitet Träume auf, sondern eine Frau sitzt da, und sie
schält Erbsen.
Der Inhalt ist da anders. Aber die Anmutung des
Ereignisses ist vergleichbar. Der Raum blauschimmernd gestaltet,
die Person von Neon ausgeleuchtet: Ja, das ist mein "Traum-Raum
2020", sogar
in der von mir vorgeschlagenen Galerie "Oberwelt".
Welcher Inhalte gerade passiert, worum es eigentlich
bei einer gebotenen Kunst geht, ist ja amüsant zweitrangig bei vielen
Präsentationen moderner Kunst. Es geht im gewerblichen Bereich um irgend
ein Ranking, und es geht im Förderbereich darum, dass die geförderte
Gruppe die erforderlichen Trumpf-Karten (z.B. migrantisch, schwul oder weiblich) in der Hand hält.
Ich weiß, es gibt Kunstfreunde, die hören die
Glocken läuten, die achten auf Inhalte. Mich selbst zähle ich dazu. In
Gremien, die mit Entscheidungen über Kunstkäufe und -Preise beauftragt
sich, erleben solche Kunstfreunde das Scheitern ihrer als "subjektiv" in
die Ecke gestellten Haltung.
Zweimal saß ich in Gremien, die an Musikgruppen einen
gemeinsam beschlossenen Preis vergeben sollten. Die Entscheidung erfolgte
entlang an einem an jeden Juror verteilten, nur Triviales abfragenden
Kriterienkatalog. Einmal war ich Kurator einer "internationalen"
Kunstausstellung. Zwischen fünf anderen Wesen saß ich, die mit im Internet
publizierter englisch-sprachiger Debatte Künstler suchen und beauftragen
sollten: Die zwei englischen Muttersprachler setzten sich eloquent durch,
drei Gestalten machten den Lurch und ich wurde auf englisch zur Schnecke
gemacht.
Von den Leuten in den
Strukturen, die Marina Domont-Anastassiadou beim Erbsenzählen unterstützen, wird vermutlich
niemand ihre Performance besuchen.
Ich ging zu Marinas Erbsen-Show, um in das Prinzip
"Kunst-Performance" hinein zu lauschen. Ich wollte Fragen loswerden. Da
bin ich zunächst harmlos gescheitert: Sie saß hinter Glas, und ihre
Wächter verstanden keinen Spaß. Aber ich hatte eine Kamera dabei. Unter
den misstrauischen und zum Dialog nicht bereiten Augen von Marinas
Personal filmte und diskutierte ich die Fragen, nach deren Antwort ich in
der "Oberwelt" beim Erbsenzählen suchen wollte.
In drei Rollen will ich dazu den Performance-Raum betreten:
1. als Galerist
2. als Besucherin
3. als Künstler
Der Galerist in mir würde fragen: "Wie
kann man das verkaufen?"
Ich muss mir selbst die Antwort geben. Marinas Personal ist auf die Frage
nicht vorbereitet: "Man müsste so jemanden als Performer mieten."
Die Besucherin in mir würde in den Raum gehen und fragen: "Wo
ist hier Action? Was geht ab?" Das Personal von Marina hat keinen
Draht zu meiner Frage, obwohl es mitten in der Antwort steht: "Es braucht
hier Geduld und den Ansatz zu Eigen-Initiative"
Als Künstler würde ich mich an die Performance heranbegeben und
fragen: "Was bringt mir das? Wie lang halte ich das durch?" Das
Personal von Marina hat derweil beschlossen, meine Fragen nicht zur
Kenntnis zu nehmen: "Der Typ passt nicht in Marinas Konzept".
Anhand vom Mitfühlen bei Marinas Erbsenzählerei erkenne ich: Eine
beliebige Dauer-Performance ist nicht mein Ding. Ich mag die vorbereitete
Show von durchaus mal neunzig Minuten Dauer. Aber ich habe das Gefühl,
mich zum Affen zu machen, wenn ich lange in einem einfachen Konzept
verharre, es wiederhole und mich dabei begaffen lasse.
Aus ist der Traum, in einem Traum-Raum Tage in der "Oberwelt" zu
verbringen. Das besuchbare Präsentsein in einer Galerie erscheint mir zu
zufällig, zu ergebnisarm, zu karg. Marina, zähle deine stunden
verbrauchenden Erbsen ohne mich. Mir reicht es, hundert Erbsen
beispielhaft zu zählen oder, bequemer: Dir beim Zählen von vielleicht
hundert Erbsen zugeschaut zu haben. Du hast in mein Konzept gepasst.
Gracias!
Mein Traumraum hatte heute am
12.9.2021 seinen
beispielhaften, mir genügenden Ausführungstag. "Künstlerische Aneignung"
wird sowas genannt. Habe ich zwar zuvor nie getan, aber nun schlug die
Stunde. Merci Marina :-)