Besuch im Schwarzen Loch
Es gibt Radikaleres als mein Projekt
"Traumraum". Aber ich halte das hier Besprochene
- für Schwachsinn in seiner Dauer. 15 Minuten bis fünf Stunden davon
pro Jahr sollten genügen
- für Geschäftemacherei. Da wird weniger geboten als in einer
Gefängnis-Isolier-Zelle. Mit den Werbeworten, die ich da lese, könnte man
auch werben: "Lassen Sie sich einbunkern in Stammheim, und dann wird
auch noch abgedunkelt".
Diese Lachnummer an vom Kunden bezahlter Isolation - hey Mann, hey Frau,
such dir eine stille Pension auf dem Lande, mach dunkel und sage, man
solle dir das Essen vor die Tür stellen - diese Lachnummer hat einen
schicken englisch-deutschen Misch-Namen "Dunkel-Retreat". Mittlerweile
wird ja in Deutschland mehr mit Englisch als mit Deutsch geworben - "The
Länd" wird Baden-Württemberg derzeit (2022) im Werbesprech getauft.
Hey Mann, hey Frau, hätte mein Traumraum in Stuttgart nicht so ein
schickes Innen-Design und würde ich nicht fürchten, dass du nach einer Stunde
bis einem Tag hohl drehst, auf "Retreat" pfeifst und mir die Möbel
ruinierst - die Beschreibung des Dunkel-Raums, die ich soeben als erste
aus dem Internet fische, ist in der Robustheit der Möbel darauf
vorbereitet, dass ein Mensch ins Holz beißt - würde ich meinen Traumraum
nicht zu einem "Seins-Retreat" designt haben, was es irgendwie
durchaus ist - läge es nahe, meinen "Traumraum"
anzubieten und werbend zu reimen:
"Schalte aus, schalte
ab,
mach das Zimmer zum Grab.
Und du steckst still darin:
Dich zu finden
ist der Sinn."
Das ganze aber mal ungereimt, Fundstelle nach Eingabe des Stichworts "Dunkel-Retreat"
war https://www.kloster-saunstorf.de/dunkelretreat/ :
Bei uns... "gibt es zwei Dunkelräume für einen Rückzug in absolute
Dunkelheit. Sie verfügen über einen Raum mit Platz zum Schlafen und
Bewegen und einem Duschbad. In einem kleinen Vorraum werden Speisen und
Getränke gereicht. Die gesamten Räumlichkeiten sind komplett abgedunkelt."
... ...
...
...
...
...
... |
Malewitsch malte als erster eine
monochrome Farbfläche und sagte, das sei ein Bild. Er nutzt meiner
Vermutung nach Ölfarbe, und zwar schwarze. Ich habe diese Kunsthandlung
schon einmal gemeinsam mit zwanzig weiteren Malern in der
Shedhalle
Tübingen nachvollzogen. Im digitalen Zeitalter geht das nun aber klickediklick ohne Pinsel: Tabelle aus einer Zeile und einer Spalte.
Schwarzer Hintergrund. Skalieren in Bezug auf die Gesamt-Tabellenbreite,
hier 70 %. Fertig ist das schwarze digitale Loch :-)
... okay: Mein "Traumraum" ist nicht ruhig
- da fahren Autos auf der Straße, und die WG-Mitbewohner gehen ihren
Beschäftigungen nach. Auf dem Lande, egal wo - frag irgendwelche Bekannten,
die "da draußen" wohnen - da
also gibt es sieben Zeiten die Woche, in denen stille Dunkelheit echt
leicht zu erzeugen ist: Die Nächte. Nachts, mit heruntergezogenem
Vorhang, Licht ausgelassen, was siehst du da, was hörst du da, was fühlst
du da und willst es diesmal offenbar? Die Dunkelheit.
Gehen wir mal zum Youtube-Video dieser Retreat-Homepage: Sitarmusik
erklingt. Eine Frauenstimme startet: "Im modernen Kloster... begegnest du
dir selbst, ohne die Sorgen und Beschäftigungen deines täglichen Lebens."
Umsprung zu elektronischen Soft-Klängen... hey, jetzt wird es gewaltig,
weshalb die Werber eine Männerstimme ranlassen: "Wir alle kommen aus der
Dunkelheit und kehren in die Dunkelheit zurück. Dunkelheit ist die Mutter
allen Seins. Sie ist der ursprüngliche Schoß. Sie hat tiefe und eine
ungeheure Kraft zu nähren. Sie umhüllt den Embryo im Mutterleib und den
Samen in der Erde. Der helle Tag ermüdet und die dunkle Nacht
regeneriert."
Anschließend wieder die Frauenstimme... Aber halten wir mal anhand dieser
ersten Stichworte inne:
- "Modernes Kloster". Dazu habe ich
Visionen. Aber sie sind hell.
- "ohne die Sorgen und Beschäftigungen deines täglichen Lebens". Wenn das
mal gutgeht. Der übliche Urlaub liefert ja mit Anfahrt, Zurechtfinden und
Abfahrenmüssen mehr Stress als die meisten Alltags-Tage. Und was passiert,
wenn ich allein im Dunkeln liege und nicht schlafe? Erholung eher nicht.
Sorgen beschäftigen mich.
Verrückterweise finden meiner Vermutung
nach viele Mitmenschen hinter den Beschäftigungen ihres täglichen Lebens
NICHTS. Also da gibt es keine Motivation, kein Gefühl, gehalten zu werden.
Da fallen die armen Mitmenschen ins Loch. Und zahlen dafür beim "Dunkel-Retreat".
Man kann ein T-Shirt kaufen mit der Aufschrift "Stell dir vor, du gehst in
dich und keiner ist da." Das ist kein Witz. Dieses Hemd trug eine
Bekannte von mir, und man kann es im Internet recherchieren.
- "Wir alle kommen aus der Dunkelheit und kehren in die Dunkelheit
zurück." In diesem Satz ist das Wort "Dunkelheit" ein Platzhalter für das
jeweils Beworbene. "Wir alle kommen aus dem Meer und kehren ins Meer
zurück" sagt der See-Pfarrer. "Wir alle kommen aus dem Licht und kehren
ins Licht zurück" sagt der Pfarrer, wenn er nicht gerade das Dunkel-Retreat bewirbt. Auch der Fluss, das Feuer, und ganz typisch "die
Erde", und natürlich "das Nichts" sind Zielworte, wenn man mystisieren will, woher wir kommen (aus dem
Mutterleib) und wohin wir gehen (in den Tod).
- "Dunkelheit hat tiefe und eine ungeheure Kraft zu nähren." Das muss
geistige Nahrung sein. Körperlich empfehle ich eine Mahlzeit. Und geistig
rate ich zu Ausbildung, Bildung, Gesprächen, Treffen, Erziehung,
Neugier, Forschung, Handlung. Bauen wir statt "Dunkelheit" testweise
mal einen anderen Begriff in den Werbesatz ein: "Kunst hat tiefe und eine ungeheure
Kraft zu nähren" - häh, das wär doch mal geil... Stimmt aber nicht. Kunst
kann flach sein, und zumeist ist sie mir nicht geheuer :-)
Flach und nicht geheuer ist mir also auch, mich wegschieben zu lassen in
eine abgedunkelte Isolierzelle. Auf dem Killesberg in Stuttgart gibt es
die Neureichen-Variante dazu: "Schweben Sie in einer auf Körpertemperatur
geheizten Sole wie am Toten Meer. Körper, Geist & Seele kommen in einen
tiefenentspannten und reizarmen Ruhezustand." (https://www.float-stuttgart.de/).
Also der Markt der Entspannungsangebote ist prall gefüllt. "Licht aus und
keiner ist da" liegt dabei für mich im unteren Bereich der Entspannungs-
und Selbstfindungs- Skala.
Zugleich sagt mir eine innere Stimme: Junge, Entspannung und Selbstfindung
hast du um dich und in dir. Dein Traumraum IST ein Dunkel-Retreat. Nur
verkaufe es nicht, ey, weil sich ein solches Dunkel-Dings jeder gratis
holen kann. Gut denn und ja, so ist es. Aber was erlebe ich denn nun nach
einer halben Stunde Aufenthalt im
potentiellen Dauerdunkel des Traumraumes, in jedem anderen
inhalts-entleerten Raum auch?
Ödnis und Langeweile.
Ja, das ist die Fährte: Meine immer schon geplante - und durchaus zum
Titel passend vielleicht nie stattfindende - Kunstausstellung "Nichts,
Nacht und Nebel" bekommt diesen Raum: Ein Kabuff zum Betreten,
spartanisch eingerichtet. Ich schreibe drauf - obwohl ich
den Namen in seiner englisch-deutsch-Mischung ekelhaft finde, weil er aber
eben so schon eingeführt wurde - "Dunkel-Retreat". Drumherum garniere ich
die Werbung für solche Räume, zitiert aus ein paar Prospekten. Wer will,
kann nachts, wenn die Ausstellung eigentlich geschlossen ist, sich da
hineinbegeben. Ich empfehle 15 Minuten bis fünf Stunden.
Wir haben soeben aus einem - wie ich meine, übertrieben gepushten -
Selbstbesinnungs-Angebot einen Kunst-Performance-Raum geformt.
Gefällt mir deutlich besser. Mein Traumraum hingegen bleibt aktiv: Er fischt
Träume aus der anfänglichen geistigen Dunkelheit, in die man zum "Träumen"
mit seiner abgeschalteten Wach-Wahrnehmung, mit den schlafenden Gliedmaßen
durchaus vordringen kann. Mein Traumraum dient nicht dem Suchen, nicht
dem Entspannen. Es dient dem Finden und Schöpfen:
.....
.....
.....
.....
.....
.....
..... |
"Das Tao sagt: Wenn du in die
Dunkelheit gehst, und sie wird vollkommen, verwandelt sich die Dunkelheit
schon bald in Licht" ... höre ich im oben schon zitierten Werbe-Video.
Ich forme diesen schönen Spruch um und sage (das bleibt durchaus in der Botschaft des
Tao): "Der Tag ist Licht, die Nacht ist dunkel. Nutze
beides." 15.1.2022 |