Webcams, die Menschen zeigen
Nur Jenny war echt. Eine Million Nachahmer waren künstlich.
Als Jenny 1996 die Kamera herumdrehte in ihr Zimmer hinein, gab es in den
USA vielleicht schon 1000 frühe Webcams. Sie zeigten, ob Kaffee in der Kaffeemaschine war, und wie es dem Hamster ging. Das Internet war jung, und
überwiegend hingen Nerds da drin und ein paar frühe Auftraggeber. Den
Begriff "Nerd" - versunken in der Melange aus Technik, Wissen und
Computern, wie sie die digitale Revolution ermöglicht - gab es noch nicht.
Jenny war Grafik-Designerin und versuchte den Gag mit der Webcam weg vom
Anzeigen irgendwelcher Dinglichkeiten wohl als Werbung: Schaut her, da
sitze ich und führe Aufträge ordentlich aus.
Jenny war ein "girl next door" - nicht super gut aussehend, aber durchaus
mit gelegentlichem Besuch eines "boys next door". Und die Webcam lief eben
auch da, soweit das Licht anblieb. Sie zeigte rund um die Uhr Jennys Wohn-
Ess- und Arbeitszimmer. Sie klammerte Bad und Toilette aus. Es sollte eine
ehrliche Webcam sein: "Das ist nicht eines der vielen Webcam-Aquarien, um
zu sehen, wie es den Fischen geht. Hier schwimmt der Mensch selbst im
Aquarium".
"Jennycam" wurde ein Knaller mit zehntausend Voyeuren. Jenny lebte eine
Weile von den Abonnenten und schaltete aber, als der Boom zu schlüpfrig
für sie wurde, die Kamera ab und lebte wieder und weiter ein
vergleichsweise normales Leben. Da hatte sie längst Tausende von Nachahmern.
Der Knackpunkt blieb der Sex:
Die einen legten ihren Schwerpunkt darauf, Sex zu zeigen. Das war die
gewerbliche Schiene. Sie steigerte sich bis zur Fernseh-Show "Big
Brother". Die anderen ließen davon genau die Finger. Da war dann
mancherlei Kunstversuch dabei: "Hier sitze ich und handele und weiß und
will, dass das Internet dabei ist."
Jenny lag dazwischen. Jenny hatte keine Kunstabsicht und führte keine
Sexszenen vorsätzlich herbei. Sie war angesichts des Booms von "Jennycam"
aus Versehen gewerblich. "Jennycam" ist eine schöne Pioniergeschichte: Gut
gelaufen für die Erfinderin und so eigentlich kein weiteres Mal möglich.
Amerika wurde auch nur zweimal entdeckt (Irgendwelche Wikinger und
Christoph Columbus) - der Rest waren Nachfolger, die an den Botschaften des
Pioniers entlang segelten.
"Nein, ich mache mich nicht zum Hirsch". Chris
streamt sein traumraum - Webcam-Angebot nicht ganz live. Er arbeitet es
behutsam auf - mit manchem Zeitraffer. Und wenn er nicht da ist und die Webcam das leere Studio stundenlang, gar tagelang zeigen würde: Das lässt
er weg.
Eine Handvoll Streams waren mit einem Tag Zeitverzug
bei Youtube. Soweit, so genug.
Eine Webcam, die mich zeigt?
Ich mache keine echte Webcam. Ich fische mir aber ein Element der
Webcam heraus. Ich stelle so eine Webcam nicht an und lasse sie durchlaufen. Das langweilt, wie
schon die Fernsehsender wussten. Diese Sender engagierten irgendwelche
bekanntem Leute für ihre Projekte ("Big Brother"). Und sie führten zielstrebig tägliche
Besonderheiten herbei.
Aber ich stelle eine Kamera auf und lasse sie geduldig filmen. Was mir an
der Jenny-Cam-Idee gefällt, sind die Zeitphasen, in denen die Gefilmten vergessen
haben, dass die Kamera läuft. Menschen unverstellt zuschauen zu können bei
ihrer Arbeit, bei einer Kunstaktion - das ist eine Besonderheit.
Ich lasse Verräterisches und Schlüpfriges weg. Also da soll nicht
ausgeplaudert werden, wie man sich vor dem deutschen Finanzamt rettet, und
die Leute sollen bekleidet bleiben.
Ich schaue das Gefilmte durch und schneide es extensiv - also es gibt
Durststrecken, ansatzweise wie bei der Webcam - aber künstlerisch
unterhaltsam. Das Gezeigte möchte bei aller Normalität des Handelns -
technische und inhaltliche Fragen des Kunstmachens stehen im Raum - "Wie
gehen wir hier vor? Wohin soll das führen?" -
außergewöhnlich sein. Ich inszeniere für die Anwesenden eine künstlerische
Grundidee. Hier im Rahmen des Projektes "Traumraum"" ist meine Idee das Auswerten der Signale,
der Kreationen, der Deutungsvarianten meiner Träume. Mein von "Jennycam"
angeregtes Filmen zeigt dann, wie ich an der Grundidee entlang mich bis zu
manch künstlerischem und - bei mir ist das mit "Kunst" schön verbunden - gedanklichem Ergebnis bewege. |